Song
Laufzeit
4:02 Minuten
Album
Musik, Text und Produktion
Musik: Robert Ponger
Text: Falco
Produzent: Robert Ponger
Offiziell veröffentlichte Mixes/Edits/Versionen
- Peter Kruder Remix 7:53 (2017)
- Salute + Fono Remix 4:47 (2017)
- Tuff City Kids Remix 7:15 (2017)
- Tuff City Kids Dub 7:15 (2017, offiziell unveröffentlicht)
Über den Song
Der letzte Song auf Falcos Debutalbum ist einer der unterschätztesten Songs des Künstlers überhaupt. Das mag einerseits an der musikalischen Monotonie des Songs liegen, andererseits vielleicht auch am doch recht düsteren Thema desselben. Allerdings ist die abwechslungslose Drum-Machine, der den Song unerbittlich und kalt voranpeitscht, das genau richtige Stilmittel um eine Nummer, in der es um eine zutiefst soziologische Betrachtung des modernen, urbanen Lebens geht. Falco vertraut auch hier auf die Methode, viel mit Wenig zu sagen, er wirft dem Hörer lediglich Textbrocken hin und verlässt sich drauf, dass diese in dessen Kopf Assoziationen und Stimmungsbilder erzeugen.
Auf diesem Song funktioniert das hervorragend: Falco singt über eine verspielte und irgendwie nicht zum Rest des Songs gehörende Synthesizer-Melodie und einer spröden Gitarre seinen Text, der mehr wie Slogans und Mottos aus einer Zeit klingen, in der George Orwells Vision eines Überwachungsstaates mit Bürgern, die sich schon lange selbst aufgegeben haben, längst von der Realität übertroffen worden sind. Gelangweilt und abwesend trägt Falco seine Statements vor, auch er selbst scheint in dieser apokalyptischen Einsamkeit gefangen zu sein. Das hindert ihn jedoch nicht daran festzustellen, wie selbstbezogen, grausam, kalt, gleichförmig und einsam die Brave New World ist, in der wir mittlerweile alle leben. Falco entwirft ein finsteres Bild der Gegenwart, vor dem inneren Auge sieht man die kalte Neonwelt einer Wohlstandsgesellschaft, in der sich niemand mehr für den Anderen verantwortlich fühlt, niemand scheint den Anderen zu brauchen, nur noch Isolation verbindet die Menschen miteinander. Falco vergleicht das moderne Leben mit Einzelhaft, ein Leben, in dem es nur noch den Selbstbezug gibt und das in dieser traurigen Eintönigkeit für immer weiter gehen wird, Aussicht auf Besserung gibt es nicht.
Dazu Falco im Originalton: "Es geht um eine Gesellschaft des Wohlstands und der Wohlfahrt. Die Einzelhaft ergibt sich daraus, dass eigentlich keiner mehr den anderen braucht. Den Leuten wird alles gemacht, vieles bezahlt, von der Gebärprämie, Kindergartenschule, Gemeindewohnungen, vorausgesetzt man setzt alle vier Jahre sein Kreuzerl an die richtige Stelle. Es ist ein Ausdruck der Wohlstandsgesellschaft, wo sich keiner mehr für den anderen verantwortlich fühlt, keiner scheint den anderen zu brauchen. Den Leuten geht es zu gut, niemand kann mit dem anderen reden. Jedem Jungbürger, jedem Jungwählersteht steht seine Einzelhaft zu. Gemeint ist nicht unbedingt die Einzelhaft hinter schwedischen Gardinen, sondern hinter Wohnzimmergardinen. Es ist symbolisch zu verstehen für die isolierte Situation modern lebender Menschen".
Musikalisch erinnert der Titelsong von Falcos erstem Album nicht nur stark an die Lebensverdrossenheit von Joy Division, sondern manchmal auch ein bisschen an Kraftwerk, er ist ähnlich streng und strukturiert aufgebaut wie viele Stücke der Elektro-Pioniere aus Düsseldorf (und wenn sich Falco ein bisschen an Kraftwerk anlehnt, verbindet ihn das schon wieder mit seinem Idol David Bowie). Emotionen stören in dieser Welt, TV ist das neue Opium des Volkes, man lebt in unmittelbarer Nähe von Millionen anderer Menschen und ist doch allein. Sarkastisch fordert Falco im Refrain "Lebt die Einzelhaft", als solle die Gefühlskälte des beginnenden Jahrzehnts, die stärkere Individualisierung und das Ansteigen der Anzahl der Single-Haushalte die neue Norm darstellen. Falco vergleicht diese im wahrsten Sinne des Wortes unmenschliche Lebensform mit Einzelhaft in Gefängnissen, mit "Türen aus Stahl". Der Mensch lebt hier nicht mehr lebenswert, er vegetiert vielmehr nur noch konträr zu seiner Natur bis zu seinem Tod ohne wirklich zu leben…
Es ist leicht nachvollziehbar, warum dieses Lied bis 2018 auf keinem Best-Of-Album zu finden war, zu direkt scheint Falco hier vielen Menschen einen Spiegel vorzuhalten, zu schonungslos ist seine Abrechnung mit der (post-) modernen Gesellschaft. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Nummer (die mit ihren langen Passagen wo nur Musik stattfindet und Falco nicht zu hören ist, gleichzeitig auch an so manchen Song auf Bowies Kultalbum "Low" erinnert), nicht zu den sowohl textlich als auch musikalisch stärksten in Falcos Oeuvre gehört.
2017 erschienen im Rahmen des JNG RMR-Projekts mehrere Remixes (von Peter Kruder, Salute + Fono sowie den Tuff City Kids), alle diese Neuabmischungen haben durchaus ihre Reize.
Im Buch Privacy Falco findet man Auszüge aus Falcos Textbuch zu diesem Song, er formuliert hier gemäß der auch im Song verwendeten Direktive "Du sollst…" noch weitere Anweisungen ("deinen Lehrer lieben", "deinen Leutnant lieben", "sogar den Türken lieben", sogar ein Hinweis auf Selbstbefriedigung findet sich dort: "nicht nächstens dich vergreifen"), diese nicht verwendeten Textbausteine bleiben aber in ihrer sprachlichen Wirkung zum Teil deutlich hinter den von Falco schlussendlich verwendeten Textzeilen zurück. Bemerkenswert ist jedoch, dass sowohl in diesen nicht verwendeten Textteilen als auch ein Jahrzehnt später im Song Monarchy Now von einem Kater die Rede ist ("Du sollst deinen Kater lieben, sollst vor ihm auf Erbsen knien" beziehungsweise "Gestern begrub ich meinen Kater, ein Geschenk von meinem Vater"). Seltsam, was hat es nur mit diesem Kater auf sich? Aber solange keine Goldfische in der Nähe sind…
Text
Erfolg!
Auge um Auge
Zahn um Zahn
Der Einsamkeit
Freie Bahn
Keiner für alle
Jeder für sich
Keine Gefühle
Stören dich
Deine Schuld wird nie verzieh'n
Du sollst deine Puppe lieben
Sollst ihr nie den Hals verdreh'n
Und Liebeslieder leben wieder
Sie wird immer zu dir stehen
Moderne Menschen
Leben allein
Das neue Leben
Fängt sie ein
Liebe macht Herztod
Sprechverbot
Lebt die Einzelhaft, lebt sie!
Lebt die Einzelhaft, lebt sie!
Lebt die Einzelhaft
Erfolg!
Auf kalten Kanälen
Illusion freier Wahl
Abschliessend die Zeit
Türen aus Stahl
Rosa-Rausch-Filter
Chemie klärt dich auf
Ohne zu leben
Stirbst du auch
Deine Schuld wird nie verzieh'n
Lebt die Einzelhaft, lebt sie!
Lebt die Einzelhaft, lebt sie!
Lebt die Einzelhaft
Lebt die Einzelhaft, lebt sie!
Lebt die Einzelhaft, lebt sie!
Lebt die Einzelhaft
Erfolg!
Meine Textfassung beruht, falls vorhanden, auf den Textbeilagen der offiziellen Veröffentlichungen (Booklet, Inlay, Cover etc.). Allerdings wurden alle Texte abgehört und nach dem gesungenen Wort korrigiert. Bei Songs, bei denen keine Textbeilagen verfügbar sind, basiert meine Fassung ausschließlich auf dem gesungenen Wort bzw. auch auf im Internet kursierenden Versionen. Textpassagen, die im Dialekt gesungen wurden, stehen in gemäßigter Transliteration. Rechtschreibfehler, sowohl deutsche als auch englische, wurden in eklatanten Fällen korrigiert. Die Rechtschreibung beruht teils auf der zur jeweiligen Zeit gültigen (Textbeilagen), teils auf der neuen Rechtschreibung (eigene Abhörungen). Auf Satzzeichen wurde im Allgemeinen verzichtet. Für Verbesserungsvorschläge bin ich dankbar.