Laufzeit

5:11 Minuten

Album

Nachtflug [1992]

Musik, Text und Produktion

Musik: Rob & Ferdi Bolland
Text: Falco, Rob & Ferdi Bolland
Produzent: Rob & Ferdi Bolland

Über den Song

Ein Song mit einem Titel, der typisch für die Bollands ist – es werden Mythen und Klischeebilder aus der Populärkultur verarbeitet. Und auch das Falconizing ist klar spürbar, im Text gibt Falco der Nummer über eine tragische Liebegeschichte einen deutlich sexuellen Twist.

Nachdem der Song mit dem Rauschen und Brechen von Wellen beginnt, setzt ein gemächlicher Beat ein. Dazu gesellt sich bald eine träge Synthesizer-Melodie, das Ganze wirkt musikalisch wie die Umsetzung eines fiebrigen Tagtraums. Wenn Falcos Sprechgesang einsetzt, wird diese Stimmung noch verstärkt, erst mit der Bridge („Denn die Zeichen stehen verändert“) und mit dem Refrain kommt dann ein bisschen Schwung in die Nummer.

Auch bei diesem Track wird im Refrain auf die Stimmen der Bollands gesetzt – was in Time, S.C.A.N.D.A.L. und Psychos aber lediglich mehr oder weniger dezent passiert ist, wird hier in der vollen Bandbreite umgesetzt: Falcos Stimme kommt während des gesamten Refrains nicht vor… Dieser Umstand tut dem Song nicht gut, mehr denn je wirkt Falco hier wie ein Gastsänger auf einem Bolland-Song. Es ist einer der wenigen Songs in Falcos Oeuvre, bei dem im Refrain nicht Falco selbst zu hören ist (später kam dann auch noch die Nummer Mutter, Der Mann Mit Dem Koks Ist Da dazu).

Die musikalische Stimmung ist atmosphärisch und irgendwie dunkel und bedrohlich, wie aus einem amerikanischen Film Noir. Im Mittelteil der Nummer wird der Melodie noch eine Dimension hinzugefügt, eine Gitarre steuert ein zusätzliches Element hinzu. Danach setzt nochmals der Refrain ein und verklingt dann in einem Fade Out.

Die Songstruktur mit dem von den Bollands gesungenen Refrain hat zur Konsequenz, dass man in den letzten zweieinhalb Minuten der Nummer kein einziges Wort mehr von Falco hört – hier dominieren seine Produzenten eindeutig das Klangbild. Ein seltsamer und ungewöhnlicher Aufbau eines Songs, aber wohl durchaus von Falco so gewünscht und gewollt.

Falcos Beitrag zu diesem Lied ist recht genau abgrenzbar: So scheinen der Titel und der Refrain von den Bollands zu stammen, der Text in den Strophen weist dagegen eindeutig die Handschrift von Falco auf.  Es spricht einiges dafür, dass zumindest Teile der Lyrics aus der Zeit um 1990 stammen. Die Phrase „Der Schlange Kur“ ist eine Selbstzitat aus Anaconda ‘Mour, einem Song des Albums Data De Groove. Andere Textzeilen könnten auch direkt aus Charisma Kommando stammen, einem anderen Song aus diesem Album von 1990.

Inhaltlich vermischen sich die zwei Bedeutungsebenen (die eine der Bollands im Refrain und die andere von Falco in den Strophen) zu einer eigenartigen Mischung aus Romantik und Sex. Während Falcos Text gleich zu Beginn dem Song eine stark sexualisierte Konnotation gibt („Tour-Retour (…) Wir spielen das alte Spiel, der Schlange Kur“), verändert dann der Bollandsche Refrain die Stimmung etwas: „I’ve been waiting at Cadillac Hotel, I’ve been waiting, waiting for your love. I lost you at Cadillac Hotel, I can’t find you. Girl, where are you now?“. Interessant ist auch, dass Falcos holländische Produzenten hier eine Phrase verwenden, die sie nach Falcos Tod im Sample-Song Where Are You Now? wiederverwenden werden.

In der zweiten Strophe wird Falco dann noch deutlicher: „Neue Herrinnen warten nicht, dienen nicht. Neue Herrinnen geben sich, nehmen sich whatever they want (…) Dann ruft die Domina-Connection zur Promotion, Vom Nymphomanian Planquadrat bis zum Single-Market hatten wir alles, hatten wir alles schon“.

Man könnte interpretieren, dass es in dieser Nummer um einen Mann geht, der in einem amerikanischen Hotel vergeblich auf seine Geliebte wartet. Diese Frau wird von Falco als kühl beschrieben („Das Blau in ihren Blicken erinnert sehr an ein Swimmingpool im Winter“), ihre Beziehung dürfte stark sexuell geprägt sein aber auch durchaus amouröse Aspekte aufweisen (Acting on l’amour, wir spielen das alte Spiel“). Nun dürfte sich aber in ihrem Verhältnis etwas geändert haben, der Protagonist wartet wohl vergeblich auf seine Gespielin („Aber die Zeichen stehen verändert, neuer Tendenzen Konsequenz“). Vieles dürfte das Paar bereits in der Vergangenheit versucht haben, um ihre Beziehung am Laufen zu halten („The pressure is immense“, „Hatten wir alles schon“), letzten Endes aber erfolglos („Letzte Schattenspiele“). Auffallend ist auch Falcos neuerliche Thematisierung (wie schon bei der Nummer Charisma Kommando zwei Jahre zuvor) von S&M und dominierenden Frauen.

Mit viel Phantasie kann man Teile des Textes auch als eine Art Vorwegnahme des Steampunk-Genres sehen, wenn Falco von „Hi-Tech-Hexen“ singt, aber das ist schon sehr weit hergeholt. Ewa Mazierska sieht in der Nummer „a theme of loss and waiting for love. (The song is) inbued with nostalgia.“ Für mich schwingt zusätzlich ein Gefühl von Melancholie und Trost- und Hoffnungslosigkeit mit, eingewebt in die von den Bollands vorgegebene Stimmung.

Dabei nimmt der Song natürlich Bezug auf das berühmte Cadillac Hotel, das 1914 am Venice Beach von Los Angeles erbaut wurde. Dieses in den Farben Pink und Türkis gehaltene Art-Dèco-Hotel scheint die Kulisse zu sein für Falcos Betrachtungen über eine verlorene Liebe. Vor meinem inneren Auge sehe ich Falco, wie er in dieser schon leicht heruntergekommenen Unterkunft direkt am Highway 1, der Autobahn, die direkt an der Küste des Pazifischen Ozeans in Kalifornien verläuft, einsam und allein mit Ray-Ban-Sonnenbrille im Hinterhof des Hotels am Swimmingpool steht und traurig und vergeblich auf die Ankunft beziehungsweise Rückkehr seiner Geliebten wartet. Dabei denkt er an zurückliegende Episoden aus seiner stark erotisch aufgeladenen Beziehung mit ihr. Wenn der Song schon mit wenig Falco auskommen muss (er singt lediglich die Strophen des Liedes), dann ist er zumindest in der Lage, starke Assoziationen hervorzurufen.

Die Nummer wurde bei der Veröffentlichung auf dem Album Nachtflug von vielen Leuten als etwas Neues, Ungewöhnliches von Falco wahrgenommen. Falco meinte, nachdem er anscheinend bereits einige Male auf diesen Song angesprochen wurde, in einem Radio-Interview mit Ö3, dass er dieses Lied als typische Album-Nummer sieht, mehr nicht. Auch war er verwundert, dass der Track anscheinend von vielen Personen aus den Medien übermäßig wahrgenommen wurde.

Und in der Tat, sehr viel mehr als mittelmäßige Stückware ist der Song nicht. Zwar versprüht er eine fast schon cineastische Stimmung, vermittelt durch seine Instrumentierung eine interessante Stimmung und lebt auch von den unterschiedlichen Thematiken des Refrains der Bollands und dem Text Falcos. Alles zusammen macht den Sinn zu etwas ganz Eigenem, obgleich der Umstand, dass Falco nur in den Strophen zu hören ist, der Nummer sicherlich nicht helfen. Gleichzeitig dürfte aber genau dieses Fehlen Falcos über große Teile des Songs auch zu seiner Einzigartigkeit und Eigentümlichkeit beitragen.

Mit Sicherheit ist es ein Song auf dem Album Nachtflug, der sofort wiedererkennbar und durch seine untypische Struktur und Sound-Atmosphäre Eindruck hinterlässt.