Song

Europa

Laufzeit

5:07 Minuten

Album

Verdammt Wir Leben Noch [1999]

Single-Auskopplung

Februar 2000

Musik, Text und Produktion

Musik: Falco, Thomas Rabitsch, Thomas Lang
Text: Falco
Produzent: Falco, Thomas Rabitsch

Offiziell veröffentlichte Mixes/Edits/Versionen

  • Radio Edit 3:59 (1999)
  • Symphonic Remix 5:31 (2008)

Offiziell veröffentlichte Liveaufnahmen

  • Wien, Donauinsel 5:47 (Tribute Collaboration feat. Donauinsel Tribute Stars) (1999/2017)

Über den Song

Als Falco 1995 mit Thomas Rabitsch und Thomas Lang, beides Mitglieder seiner Live-Band, einige Songs aufnahm (Verdammt Wir Leben Noch, Die Königin Von Eschnapur und Ec Ce Machina) wurde auch ein Lied aufgenommen, das damals noch den Titel „Dame Europa“ hatte. Veröffentlicht wurde diese Nummer dann aber erst posthum 1999 auf dem kompilierten Album Verdammt Wir Leben Noch. Dies deshalb, weil Falcos Plattenfirma EMI keine große Begeisterung für die vorgelegten Tracks aufbringen konnte – sie konnte sich nicht vorstellen, dass diese neue musikalische Ausrichtung des geplanten neuen Falco-Albums großen Erfolg haben würde. Diese hymnische Ballade wird gewichtig das ihre zu dieser Ablehnung beigetragen haben.

Es ist eine Ballade im Austropop-Stil, langweilig produziert und bieder instrumentiert. Der Song beginnt langsam, eine Dudelsack-Melodie eröffnet den Song, im Hintergrund hört man leise angedeutet Drums. Mit Falcos Sprechgesang setzt dann das Schlagzeug merkbarer ein, untermalt von einem schwebenden, seichten Synthie-Sound. Das Ganze hat etwas Hymnenartiges, erinnert gleichzeitig an Fahrstuhl-Hintergrundgedudle. Beim Refrain setzt dann ein Männer-Chor ein („Na, na, na, na, na, na, na, Europa“), Falcos Stimme ist fast gar nicht zu vernehmen. Im Mittelteil hört man dann den Refrain-Chor verzerrt, danach setzen wieder die nervigen Dudelsäcke ein. Nach einer endlos scheinenden Wiederholung der „Na, na, na, na, na, na“-Chöre klingt die Nummer instrumental aus.

Es ist eine für Falcos Stil völlig untypische Nummer, der Hymnen-Anstrich verleiht ihr eine pathetisch-peinliche Aura. Es ist, als hätte jemand versucht, eine Ballade aus dem Lehrbuch zu schreiben. Im Gegensatz zu Falcos anderem offen politischen Song Expocityvisions (aus dem Album Data De Groove) geht dieser Song völlig in die Hose. Während nämlich die 1990-Nummer musikalisch interessant ist und auf einen härteren, schnelleren Sound setzt, vermischt sich hier Rabitschs biedere Austropop-Ballade mit einer ebenso ideenlosen Produktion. Wenn man so einen Sound bei TV-Shows wie „Starmania“ oder „Dancing Stars“ hört, wird man sich nicht wundern – wenn aber einem Popstar von Falcos Dimension eine solch fade und beinahe schon im Schlager-Outfit daherkommende Melodie umgehängt wird, dann wundert man sich, warum Falco selbst hier nicht die Reißleine gezogen hat (laut Thomas Rabitsch und auch Ronnie Seunig hat Falco der Song extrem gut gefallen und war enttäuscht über die Ablehnung durch die Plattenfirma – meiner Meinung nach ein weiterer Beweis dafür, wie verzweifelt und orientierungslos Falco zu diesem Zeitpunkt seiner Karriere gewesen sein muss).

Auch dem von Falco selbst geschriebenen Text kommt die schwülstig-hymnenartige musikalische Gestaltung nicht zugute: würden die Lyrics bei einem anderen Sound durchaus noch den Eindruck der Peinlichkeit vermeiden, vermitteln sie im Rahmen dieser Ballade eine anbiedernde Einstellung – die durchaus auch vorhandenen kritischen Elemente gehen dadurch völlig unter.

Falco bezieht hier, vor, während oder nach der österreichischen EU-Abstimmung (man weiß nicht genau, wann der Text entstanden ist, produziert wurde der Song 1995), klar Stellung: er versteht sich als Europäer und möchte, dass Österreich dieser Staatengemeinschaft beitritt – ein Wunsch, der im Juni 1994 erfüllt wurde, mehr als zwei Drittel der Wähler votierten für einen Beitritt. Falco erinnert sich im Text an die Geschichte Europas („Ich sehe euch allesamt Revue passieren, große Söhne, große Männer von Welt“ (…), „Töchter Europas, frank und frei“) und betont seine starke Verankerung in diesem Kulturkreis („Und ich verzichte wie nichts auf meine Green Cards, wenn euch dann wohler ist dabei, es sei!“). Die Gegner dieser europäischen Vereinigung adressiert Falco auch wenn er singt „Ich sehe euch allesamt Revue passieren, dunkle Gestalten, uniformiert in eurer Niedertracht“, „Wie lange noch steht eurer Inszenierung entgegen unsere saftige Übermacht“. Letztlich wünscht sich Falco Österreich in die Mitte Europas: „Warum es mir geht ist, dass du nie vergisst (…) Wovon wir sprechen, wenn wir wissen, dass wir Europa heißen und uns verdammt vermissen“, „Primär wollen wir die Dame Europa hierher, und jetzt und heute noch, sofort und mehr“.

In einem Interview 1994 nennt Falco dieses Thema als eines, das er auf seinem nächsten Album benennen möchte: „Zum Glück habe ich genügend Zeit, mich auf das zu konzentrieren, was mir wichtig ist, nämlich einen Ausdruck unserer Zeit zu finden, der sich irgendwann einmal auf einer Platte niederschlägt: die Völkerwanderung, die Öffnung des Ostens, die EU – mein lieber Schwan, da tut sich viel! Ich finde es phantastisch, dass unsere Generation das alles ohne Krieg miterleben darf“.

Falcos schlägt sich also klar auf die Seite der EU-Befürworter, er verweist auf die große Tradition Europas im kulturellen Bereich und die reiche Geschichte dieses Kontinents. Gleichzeitig malt er eine bedrohliche Alternative an die Wand, die nationalistische Bewegung.

Markus Spiegel bezeichnet das Lied im Booklet zu Verdammt Wir Leben Noch als „Referenz Falcos an die Dame Europa, es ist Falcos Hymne und Bekenntnis zur Eigenständigkeit gegenüber dem ’global village‘. Thomas Rabitsch spricht von einer „Widmung an das vereinte Europa, eine Hymne über eine Welt ohne Grenzen – ein Lied der Versöhnung“. Im gleichen Jahr, 1999, spricht das Magazin News von einer „bewegenden Hymne“ und bezeichnet sie als hitverdächtig. Der Musikexpress bezeichnet Falcos Song hingegen als „anbiedernd“.

2000 wurde die Nummer als zweite Single aus dem kompilierten Album Verdammt Wir Leben Noch veröffentlicht. Dabei wurde das Cover wie die EU-Flagge gestaltet – vor einem blauen Hintergrund und innerhalb von goldenen Sternen findet sich in weißer Schrift der Titel sowie der Künstlername.

Videoclip wurde keiner produziert, es findet sich jedoch ein kürzerer Edit des Songs auf der Single. Weder in Österreich, noch sonst wo gelangte die Veröffentlichung in die Charts. 2008 produzierte Thomas Rabitsch einen Symphonic-Remix dieses Lieds. Kurze Zeit kursierte online auch die Demo-Version von 1995, diese verwendet beim Intro und beim Outro seltsamerweise ein Sample aus No Answer (Hallo Deutschland), es wurde die Stimme des weiblichen Overseas Telephon Operator verwendet. Beim Refrain ist der Männer-Chor nicht so sehr im Vordergrund und die Dudelsäcke sind in dieser Abmischung noch Synthie-Melodien.

Live wurde der Song von Falco nie gespielt, auf Coming Home – The Tribute Donauinsel 2017 wurde das Lied jedoch als letzte Zugabe aufgeführt. Dabei wurde die Stimme Falcos für die Strophen verwendet, den Refrain sangen die am Konzert teilnehmenden Gastsänger. Warum die Nummer in diesem Rahmen gespielt wurde, bleibt rätselhaft, wahrscheinlich wollte Thomas Rabitsch, der musikalisch verantwortliche Organisator dieses Konzerts, den Auftritt mit etwas Hymnischen und allen Beteiligten auf der Bühne ausklingen lassen. 2019 schrieb die österreichische Band Bilderbuch (denen auf vielen Ebenen eine gewisse Nähe zu Falco unterstellt werden kann) einen Song namens „Europa 22“ – dieser ist ebenfalls ein Bekenntnis zur europäischen Idee, ist jedoch sowohl musikalisch als auch textlich deutlich unpeinlicher.

Falcos Liebesbekenntnis zur europäischen Idee ist einer der weniger gelungenen Songs in seinem Oeuvre. Die pathetische und musikalisch äußert dünne und langweilige Ballade mit erzwungenem Hymnencharakter lädt offen zum Fremdschämen ein. Falcos Text ist anbiedernd, die kritischeren Elemente gehen im biederen Austropop-Schlagerbrei völlig unter: Falcos Anspielungen auf die Erstarkung der rechten Szene erinnern an Dance Mephisto, hier sorgen aber der Tango-Stil und ein härterer Sound für eine musikalisch bessere Umsetzung. Vor allem der Refrain wirkt undurchdacht und unfertig, was bleibt ist eine kraftlose und übertrieben dramatisch gestaltete Nummer voll leerer Theatralik.

Text

Ich seh' euch allesamt Revue passieren
Große Söhne
Große Männer von Welt

Worüber heute ihr bevorzugt
Noch nicht sprechen wollt
Ist die Farbe, die euch so gefällt

Es weht ein anderer Wind
Und wer, wer garantiert
Dass wir uns morgen noch gegenüberstehen
Um irgendwohin zu gehen
Wir sehen sehen

Ich sehe auch allesamt Revue passieren
Töchter Europas
Frank und frei

Und ich verzicht wie nichts
Auf meine green cards
Wenn euch dann wohler ist dabei
Es sei

Worum es mir geht ist
Dass du nie vergisst
Ich weiß
Du weißt
Wovon wir sprechen
Wenn wir wissen
Dass wir Europa heißen
Und uns verdammt vermissen

Na, na, na, na, na, na, na
Europa!
Na, na, na, na, na, na, na
Europa!

Ich sehr euch allesamt Revue passieren
Dunkle Gestalten
Uniformiert in eurer Niedertracht

Na, und wie lange noch
Steht eurer Inszenierung entgegen
Unsere saftige Übermacht

Es geht um Mythen der Vernunft
Und die Bohéme bohémisiert
Und deklassiert das Reaktionär
Als sekundär

Primär wollen wir die Dame Europa hierher
Und jetzt und heute noch
Sofort und mehr

Na, na, na, na, na, na, na
Europa!
Na, na, na, na, na, na, na
Europa!
Na, na, na, na, na, na, na
Europa!

Na, na, na, na, na, na, na
Europa!

Ooh
Europa!
Ooh
Europa!

Na, na, na, na, na, na, na
Europa!
Na, na, na, na, na, na, na
Europa!

Meine Textfassung beruht, falls vorhanden, auf den Textbeilagen der offiziellen Veröffentlichungen (Booklet, Inlay, Cover etc.). Allerdings wurden alle Texte abgehört und nach dem gesungenen Wort korrigiert. Bei Songs, bei denen keine Textbeilagen verfügbar sind, basiert meine Fassung ausschließlich auf dem gesungenen Wort bzw. auch auf im Internet kursierenden Versionen. Textpassagen, die im Dialekt gesungen wurden, stehen in gemäßigter Transliteration. Rechtschreibfehler, sowohl deutsche als auch englische, wurden in eklatanten Fällen korrigiert. Die Rechtschreibung beruht teils auf der zur jeweiligen Zeit gültigen (Textbeilagen), teils auf der neuen Rechtschreibung (eigene Abhörungen). Auf Satzzeichen wurde im Allgemeinen verzichtet. Für Verbesserungsvorschläge bin ich dankbar.