Song
Laufzeit
3:15 Minuten
Album
Single-Auskopplung
Dezember 1992
Musik, Text und Produktion
Musik: Harald Kloser, Thomas Schobel
Text: Falco
Produzent: Rob & Ferdi Bolland
Offiziell veröffentlichte Mixes/Edits/Versionen
- Symphonic Remix 3:17 (2008)
Offiziell veröffentlichte Liveaufnahmen
- Wien, Donauinsel 4:28 (1993)
- Wiener Neustadt, Domplatz 3:51 (Symphonic Version) (1994/2008)
- Wien, Donauinsel 3:27 (Tribute Collaboration Donauinsel feat. Edita Malovcic) (1993/2017)
Über den Song
Der Titelsong von Falcos siebtem Album wurde bereits (wie auch Monarchy Now) vor der eigentlichen Produktion der LP mit den Bollands von Falco mit dem österreichischen Filmkomponisten Harald Kloser und seinem musikalischen Partner Thomas Schobel fertiggestellt. Aus dem in diesen Sessions entstandenen Demo produzierten die Bollands dann 1992 den finalen Mix. Während auf der Erstauflage des Albums lediglich Harald Kloser als Musikautor angegeben wurde, ist dieser Fehler dann auf den späteren Editionen und auch bereits auf der Single-Auskopplung korrigiert worden.
Musikalisch ist der Song eine Uptempo-Ballade, sie beginnt mit einer Andeutung einer Tonfolge über die zarte Drums wehen. Erst danach setzt ein fetterer Beat ein, Falcos Gesang lässt dann diese erste Melodie verstummen, lediglich noch subtil werden im Hintergrund Bass und ein Zitat des Motivs verwendet. Danach setzt eine Gitarre für ein kurzes Riff ein. Eine kurze und rein instrumentale Bridge läutet den Refrain ein – dieser hebt sich eigentlich nicht vom Rest des Songs ab, lediglich der Einsatz des Gitarrenriffs macht deutlich, dass dies jetzt der Höhepunkt der Nummer ist. Eine solche Umsetzung mag vielleicht nicht allzu kommerziell sein, aber gerade die Subtilität dieser Struktur verleiht dem Song seinen ganz eigenen, behutsamen und feinen Charme. Der Aufbau des Lieds ist auch ungewöhnlich, es gibt keinen instrumentalen Mittelteil und in der letzten halben Minute hört man Falcos Stimme nicht mehr, der Song haucht seinem Ende genauso zart entgegen, wie er begonnen hat. Man merkt vor allem bei dieser Nummer, dass der Autor sein Geld vorwiegend im Komponieren von atmosphärischer und instrumentaler Filmmusik verdient. Der Song ist das Herzstück des gleichnamigen Albums, es war die erste Nummer die Falco dafür fertigstellte und er war bereits vor der Zusammenarbeit mit den Bollands klar, dass die neue LP den Titel dieses Liedes tragen sollte.
Falco hat den Text allein verfasst, ein Umstand, den man in jedem Wort heraushört. Dabei hat sich Falco selbst zitiert, wenn er vom „harten Puls im Bauch“ singt, diese Worte hat er bereits im Song Alles im Liegen auf dem Album Data De Groove verwendet. Auch ein anderes Wort („Patient“) ist nicht neu, dieses findet man auch in Pusher, auch dieser Song ist auf dem 1990-Album erschienen.
Der Titel ist übrigens auch von Antoine de Saint-Exupéry im gleichnamigen Roman von 1931 verwendet worden. Dort geht es um die Frage, ob es eine Instanz gibt, die höher zu bewerten ist als ein Menschenleben.
Und auch eine Verbindung zu David Bowie, einer wichtigen Einflussquelle Falcos, gibt es: so coverte dieser 1993 auf seinem Album „Black Tie White Noise“ den Song „Nightflights“ von 1978, geschrieben von Scott Walker.
Das von Falco angesprochene Thema ist dabei ein „oft bewährtes“ (Zitat Falco). Es geht um das Nachtleben, um die Kontaktsuche in Discos und Nachtclubs. Gleichzeitig ist es aber auch ein Lied über das Verhältnis zwischen Mann und Frau und über die Schwierigkeiten und Probleme in Zusammenhang mit Liebe und Eros. Dabei schwingt sicherlich auch Autobiographisches in der Nummer mit: „Er ist der undercover agent, privater Clubbing Patient, In Sachen Neuordnung des Egos, das glaubt eine jede, die ihn kennt“. Dabei wird auch angesprochen, dass das stete Gefühl der Unruhe, der Hyperaktivität nicht durch eine monetäre Sicherheit, durch täglichen Eskapismus und auch nicht durch laufende One-Night-Stands abzustellen ist („Lichtjahre Luxus vergebens, es bleibt beim harten Puls im Bauch“). Auch über die Schwierigkeit, sich anderen Menschen zu öffnen scheint es zu gehen: „Doch Land gewinnen beide nicht. Sie trägt ihr definiertes Ego und er nach Hause sein Gesicht“.
Letztlich überlässt der Protagonist der Frau die Kontrolle über das zu Geschehende in dieser Nacht: „Er weiß, sie macht es heute Nacht. Und dann soll sie Kapitän des Nachtflugs sein (…) Er weiß, heute Nacht schlägt sie die Schlacht. Und dann soll sie Kapitän des Nachtflugs sein“. Diese Textzeilen deuten jedoch auch auf eine andere Interpretationsmöglichkeit hin, eine die Horst Bork in seinem Buch anspricht – so soll der Song eine Art Liebeslied für eine Domina in einem Nachtclub sein.
Ewa Mazierska sieht die Nummer in ihrem Buch so: „With this track, the singer felt a special connection. In this song, Falco reflects on his hectic 1980s lifestyle, when only night-time brought him respite from the stresses of his career. It’s a subtle tribute to prostitutes who helped him with his predicament and about mediated love as a medicine for loneliness, but on this occassion, Falco does not talk on behalf of a generation or a group but only himself“.
Der Literaturwissenschaftler Martin A. Hainz sieht in dem Song „ein gewisses Versagen (Sicherheit, Heimflug), ein Missverständnis und auch Melancholie. Heimat findet der Protagonist im Unheimlichen, jedenfalls Unheimatlichen“. Für ihn ist Falco der Verlierer in diesem Song, Gewinnerin ist die Frau, die Kapitänin des Nachtflugs.
Für Falcos Manager, Horst Bork, ist diese „unterschätzte und leise, ruhige“ Nummer ein „untypischer Titel, zeitlos und fern jeder Mode“. Die Bravo, das deutsche Jugendmagazin schreibt 1992: „Falco besingt auf ziemlich sarkastische Art das Treiben ruheloser Geister und Kontaktsucher in Discos und Nachtclubs. (Die Nummer) glänzt durch eine gute Melodie und satten Rock-Antrieb“. Der Rolling Stone schrieb 2007: „Falco rappt seine besten Texte auch dann, wenn die Musik gar keinen Rap zulässt – zu diesem späten, radiosicheren Relax-Pop raunt und buchstabiert er seine kleine Parabel über partnerschaftliches Andocken, die kurze ernsthafte Phase in der Karriere. Wieder könnte man glauben, dass Falco nur so locker klingt, weil er heimlich von sich selbst erzählt“.
Der Song war die dritte Single aus dem Album Nachtflug. Sie erschien lediglich als CD-Single, eine 7“-Veröffentlichung war nicht angedacht. Über die 12“-Platte ranken sich einige Mythen und Unklarheiten: so erschien die Single offiziell nie auf diesem Format, es wurde jedoch eine solche Vinyl gedruckt und aus unbekannten Gründen in letzter Minute dann doch nicht veröffentlicht. Die bereits gedruckten Exemplare wurden eingestampft. Es haben jedoch einige 12“ überlebt, was diese Platte eindeutig zur seltensten und damit auch zu einer der teuersten Vinylscheiben in Falcos Werk macht. Fans schätzen, dass es lediglich rund zwanzig Exemplare gibt, auf Discogs kann man einen Blick auf diese 12“ werfen.
Das geheimnisvolle Drucken und Zerstören dieser Platte zeigen ebenfalls deutlich, dass Falcos Plattenfirma EMI Electrola zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im Dezember 1992 nicht mehr mit großer Motivation in die Vermarktung ging. Zwar war damals bereits das CD-Format im Kommen, eine Veröffentlichung auf 12“ und 7“ aber immer noch bei Künstlern von Falcos Format eine Selbstverständlichkeit.
Diese Lieblosigkeit und die Tendenz, Falco-Releases so billig wie möglich zu gestalten, zeigt sich auch im Coverdesign der Single. Hier wurde, ähnlich wie bei Dance Mephisto, der Vorgänger-Single aus diesem Album, kein Photo verwendet, sondern lediglich das Coverphoto des Albums Nachtflug anonymisiert und abstrakt gestaltet. Vor einem Hintergrund, der Sternbilder am Nachthimmel zeigt, ist der Umriss von Falco zu sehen, umrandet von einem blauen Kästchen. Der Umriss ist strichliert, vielleicht soll so vermittelt werden, dass auch Falco als Sternbild zu sehen ist. Oben am Cover prangt groß der Name des Künstlers, am unteren Rand steht der Titel in einem roten Rechteck. Wie gesagt, Qualität strahlt das Ganze nicht aus…
Es wurde auch kein Video für die Single-Auskopplung gedreht, was Titanic zur einzigen Single des Albums Nachtflug macht, für die ein solcher Werbeclip beauftragt wurde. Wie schon bei Dance Mephisto war es EMI Electrola anscheinend nicht wert, die Nummer durch eine solche audiovisuelle Unterstützung zu promoten.
Lediglich in Österreich, Deutschland und der Schweiz veröffentlicht, konnte sich die Single nirgends in den Charts platzieren. Dies ist sicherlich auch durch die mangelnde Einsatzbereitschaft von Seiten Falcos Plattenfirma zu erklären (kein Videoclip, Veröffentlichung nur auf CD, nicht auf Vinyl), aber man muss schon auch feststellen, dass die Release-Strategie einen wesentlichen Punkt darstellte: hätte man beispielsweise diesen Song anstatt Dance Mephisto als zweite Single auf den Markt gebracht, wäre ihm wohl ein größerer Erfolg beschieden gewesen. Ein Superhit wäre er nie geworden, dazu ist er zu subtil und unkommerziell, aber man hätte höchstwahrscheinlich mehr Kenntnis von ihm genommen.
Falcos Lieblingsnummer vom Album Nachtflug wurde natürlich bei jedem Konzert der Tour 1993 gespielt. Legendär ist dabei die Perfomance auf dem Wiener Donauinselfest 1993, als während dieser Nummer im Zuge eines Gewitters der Blitz in die Bühne einschlug und die Lautsprecher für einige Sekunden (für die Musiker auf der Bühne) beziehungsweise für ein paar Minuten (für die Zuseher) ausfielen.
Falco trat 1993 in einigen TV-Shows mit diesem Song auf („Nachbar in Not“ und „Oh du mein Österreich“), diese finden sich auf der DVD Falco 60.
Es gibt keinen Remix der Nummer, auch darauf wurde 1992 verzichtet. Sicherlich, ein Song mit diesem Tempo und dieser Struktur ist schwierig neu abzumischen, aber wäre EMI Electrola bereit gewesen, mehr Geld in den Single-Release zu stecken, dann hätte man auch sicherlich den einen oder anderen Remix anfertigen lassen können (wie das ja auch mit anderen langsameren Nummern wie Jeanny, Coming Home (Jeanny Part 2, Ein Jahr Danach), Emotional und später auch mit Out Of The Dark) gemacht wurde.
So wurde lediglich nach Falcos Tod 2008 von Thomas Rabitsch ein symphonischer Remix für das Symphonic-Projekt abgemischt.
Das Titellied von Falcos Album Nachtflug gehört sicherlich zu den besten Songs in seinem Opus. Es ist nicht übermäßig kommerziell, aber es verfügt über einen ganz speziellen Charme, der hauptsächlich in seiner subtilen, feinen Art liegt. Es ist schade, dass Falco seine Zusammenarbeit mit Harald Kloser nicht weitergeführt hat, auch das andere im Rahmen dieser Kooperation entstandene Lied, Monarchy Now, ist gut gelungen und der musikalische Stil steht Falcos Stimme und Vortrag bei beiden Songs exzellent. Natürlich ist die Produktion sehr zeitverhaftet, was man vor allem bei den eingesetzten Drums merkt. Dennoch umweht die Melodie ein zeitloser Zauber, der Song will nicht mehr sein als er ist und diese bodenständige Einfachheit tut dem Ganzen sehr gut. Alles in allem ein oft übersehener Höhepunkt in Falcos Schaffen.
Text
Er ist der undercover agent
Privater Clubbing Patient
In Sachen Neuordnung des Egos, haha
Das glaubt eine jede, die ihn kennt
Er bucht den Nachtflug einmal täglich
Zur Sicherheit den Heimweg auch
Lichtjahre Luxus vergeblich
Es bleibt beim harten Puls im Bauch
Er weiß
Sie macht es heute Nacht
Und dann soll sie
Kapitän des Nachtflugs sein
Sie allein
Er fliegt den Wendekreis der Jungfrau
Doch Land gewinnen beide nicht
Sie trägt ihr definiertes Ego
Und er nach Hause sein Gesicht
Er weiß
Heute Nacht schlägt sie die Schlacht
Und dann soll sie
Kapitän des Nachtflugs sein
Und dann wird sie
Kapitän des Nachtflugs sein
Meine Textfassung beruht, falls vorhanden, auf den Textbeilagen der offiziellen Veröffentlichungen (Booklet, Inlay, Cover etc.). Allerdings wurden alle Texte abgehört und nach dem gesungenen Wort korrigiert. Bei Songs, bei denen keine Textbeilagen verfügbar sind, basiert meine Fassung ausschließlich auf dem gesungenen Wort bzw. auch auf im Internet kursierenden Versionen. Textpassagen, die im Dialekt gesungen wurden, stehen in gemäßigter Transliteration. Rechtschreibfehler, sowohl deutsche als auch englische, wurden in eklatanten Fällen korrigiert. Die Rechtschreibung beruht teils auf der zur jeweiligen Zeit gültigen (Textbeilagen), teils auf der neuen Rechtschreibung (eigene Abhörungen). Auf Satzzeichen wurde im Allgemeinen verzichtet. Für Verbesserungsvorschläge bin ich dankbar.